kunsttheorie
Geraldino zwischen Kunst und Musik
Harald Tesan
Gerd Grashaußer alias Geraldino hat, seit er 1983 mit seiner Gitarre auf Tour gegangen ist, u.a. als Komponist, Sänger und Musiker unzählige Kinderherzen höher schlagen lassen. Er bestreitet jährlich mehr als einhundert Konzerte mit seiner Band sowie als Solo-Künstler und hat dutzende CD aufgenommen.
Eigentlich sind die über 450 von Geraldino geschriebenen Songs anarchische Poesie im besten Sinne des Dadaismus von Hugo Ball oder Tristan Tzara. Allerdings hat das Nürnberger Multitalent sein Schaffen auf ein zwischen vier und zehn Jahre altes Publikum zugeschnitten. Und dieser Rezipientenkreis ist nicht daran interessiert, intellektuell über Sinn und Zweck eines Kunstwerks (oder Musikstücks) zu reflektieren. Was hier primär zählt, sind Spaß, Unterhaltung und Spontaneität. Springt der magische Funke zwischen Sänger und Zuhörern über, kann sich – auf dem Umweg des Lachens – das Lernen als nützlicher Nebeneffekt beinahe von selbst einstellen.
„Mit Liedern Sprache fördern“ lautet der Titel eines Buches samt CD von Geraldino aus dem Jahr 2005. Nicht erst der routinierte Entertainer wußte um die Macht der kollektiv gepflegten Affekthandlung Lachen. Von Anfang an war Grashaußer, der die Beamtenlaufbahn an den Nagel gehängt hatte, um zunächst einen sozialpädagogischen Beruf zu ergreifen, bei seiner Arbeit mit Kindern vom Phänomen der Begriffsbildung fasziniert. Seither geht es dem Künstler um den Zusammenhang zwischen Gegenstand und Begriff. Wenn er etwa bei seinem Projekt „Salzbergwerkzwerg“ Bandwurmworte zerschneidet und die Komponenten von den Kindern meterweise neu zusammenbasteln läßt, zeigt er, daß Sprache ein frei verfügbares Material ist, das nicht zuletzt aus Klang besteht. Damit steht Geraldino in bester Tradition der konkreten Poesie.
Daß es kein zwingend notwendiges Abhängigkeitsverhältnis von Realität und Wort gibt, demonstrierte René Magritte bereits vor neunzig Jahren mit seinem berühmten Ölgemälde La trahison des images („Der Verrat der Bilder“). Es zeigt eine Tabakspfeile, unter der in säuberlicher Schreibschrift der Satz gemalt ist „Ceci n’est pas une pipe“ („Dies ist keine Pfeife“). Weil er um das schwierige Verhältnis zwischen sprachlichen und visuellen Bildern weiß, geht Geraldino die Thematik indes von einer anderen Richtung her an. Bei ihm hat sich der Einstieg in die Bildende Kunst ganz zwanglos aus der Arbeit mit seinem jungen Publikum ergeben; en passant und nicht mit Blick auf den Kunstmarkt, der seinen eigenen Gesetzen folgt. So hat er sich auch nicht viel um die „Fallenbilder“ oder Assemblagen (u.a. plastische Collagen) der Künstlergruppierung Nouveau Réalisme (Neuer Realismus) oder überhaupt um die Fluxus-Bewegung gekümmert. Für seine Objektkunst fand Geraldino 2015 eine eigene Präsentationsform: Er arrangiert die unterschiedlichsten Dinge auf einem an der Wand angebrachten „L“, dessen Schenkel stets die gleichen Abmessungen aufweisen. Das große „L“, das für „Lied“ steht, könnte ebensogut auf das Lachen verweisen, dient es doch als Aufhänger für eine spielerische Didaktik, die sich selbst nicht allzu ernst nimmt und deshalb um so wirksamer ist.
Geraldinos Assemblagen sind für alt und jung von großem Reiz. Weil der Künstler in ihnen zahlreiche Relikte aus seinem Spielzimmer verarbeitet hat, nimmt er den Betrachter auf eine fiktive Reise in seine eigene Kindheit mit. Die dreidimensionalen Arbeiten sind vielschichtige Zeitkonserven. Etliche der artifiziell verwerteten Gegenstände zählten ehemals zum alltäglichen Wohnungsinventar. Stets aber bleiben die Kunstwerke auf die Musik Geraldinos bezogen. Hinter jedem seiner Objekte steckt ein Lied, eine Geschichte oder ein Gedicht, die in der Ausstellung mittels QR-Code auf jedem Smartphone abgerufen werden können.
Auch bei einer weiteren Werkgruppe beläßt es Geraldino nicht beim visuell-haptischen Ereignis. Die Spielzeugpuppen Barbie und Ken sind in den Objekt-Collagen, von ihm augenzwinkernd „Materialpizzen“ genannt, plattgepreßt wie ehemals die Trockenblumen im Poesiealbum. Zu jeder Materialpizza hat der Künstler eine über Kopfhörer zugängliche Klangcollage komponiert, bei der Synthesizerklänge mit Lauten der menschlichen Stimme kombiniert sind. Die Interaktion mit dem Publikum steht ebenfalls bei der „Wand der 100 Gesichter“ im Vordergrund. Hier ist der Betrachter aufgefordert, von Klangsäule wiedergegebene Stimmen spontan den abgebildeten Individuen zuzuordnen. Es ist jene spielerische Verquickung der Medien, durch die Geraldinos Kunst eine lebendig-bunte Ausstellung garantiert.
Pressestimmen
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